Rhabarber nimmt in Island eine ganz besondere Stellung ein. Er ist dort ähnlich beliebt wie bei uns Deutschen die Erdbeeren. Und das hat seinen guten Grund. Island, das Land im hohen Norden ist nicht mehr weit von Grönland entfernt und hat ein recht raues und harsches Klima. Hinzu kommt, dass auf der größten Vulkaninsel der Erde nur in sehr eingeschränktem Maß Obst- oder Gemüseanbau betrieben werden kann.
Es gibt nicht viele essbare Pflanzen, die hier wirklich gut gedeihen und dem Klima trotzen. Rhabarber gehört dazu. Obendrein ist er noch richtig gesund. Er enthält sehr viel Vitamin C, dazu Vitamin A, Mineralstoffe und wirkt verdauungsfördernd.
Inhaltsverzeichnis
Wie kam der Rhabarber nach Island?
Er ist kein einheimisches isländisches Gewächs, sondern ein Einwanderer. Ursprünglich stammt die Pflanze aus dem Himalaya. Ursprünglich galt sie als Arzneimittel und gelangte im 11. Jahrhundert über China nach Russland und Europa. In Deutschland wurde Rhabarber sogar erst Mitte des 19. Jh. angebaut. Ende des 19. Jh. kam er nach Dänemark und von dort weiter nach Island, das lange Zeit unter dänischer Herrschaft stand.
Rhabarber – Ein barbarischer Name?
Dass dieses Gewächs ein Einwanderer, ein Fremdling ist, ist sogar an seinem Namen erkennbar. Die lateinische Bezeichnung lautet ‚Rheu barbarum‘ – fremdländische (barbarische) Wurzel. Der Begriff hat sich interessanterweise auch in verschiedenen europäischen Sprachen in leicht abgewandelter Form genau so erhalten, auch in Island. Dort heißt Rhabarber heute ‚Rabarbari‘. In alten Zeiten trug er dagegen noch den Namen ‚Tröllasúra – Trollsauer‘.
Rhabarber in Island – Der Anbau
Er ist eine pflegeleichte Pflanze und gedeiht in Island ganz ausgezeichnet. In nahezu jedem Garten sind die üppigen Stauden zu finden. Man muss sich nicht besonders darum kümmern und man kann mehrfach im Sommer ernten.
Bei uns beginnt die Rhabarbersaison im März / April und endet traditionell am 24. Juni, dem Johannistag. Die Pflanze enthält viel Oxalsäure, der Gehalt erhöht sich nach diesem Stichtag massiv und ein Genuss ist dann – jedenfalls in unseren Breitengraden – nicht mehr empfehlenswert.
In Island dagegen schneidet man die ersten sauren Stangen aufgrund des kühleren und raueren Klimas im Juni und dann oft bis in den August hinein.
Rhabarber – Ist das Obst oder Gemüse?
Die Pflanze ist ein Knöterichgewächs und zählt botanisch betrachtet zu den Gemüsen. Doch wird sie bei uns in Deutschland als Obst betrachtet und in erster Linie für süße Rezepte wie Kuchen, Saft oder Desserts verwendet. In Island dagegen kennt man sehr viel mehr Verwendungsmöglichkeiten.
Rhabarber in Island – Eine besondere Karriere
Nach seiner Einführung verbreitete sich das Gewächs zwar recht schnell, es ist robust und gedeiht fast überall. Doch zu Beginn war Rhabarber alles andere als populär, ganz im Gegenteil. Was war der Grund dafür?
Früher wurde in Island hauptsächlich Fleisch und Fisch gegessen, beides war reichlich vorhanden, Gemüse dagegen gab es eher selten. Rhabarber wurde damals meist nur von der ärmeren Bevölkerung gegessen, die sich kein Fleisch leisten konnte.
Heute ist diese Pflanze aus der isländischen Küche nicht mehr wegzudenken.
Rhabarber in der isländischen Küche
Er hat sich nicht nur einen Platz in Kuchenrezepten erobert – wie im traditionellen ‚Hjónabandsæla‘, dem ‚Eheglück-Kuchen‘, sondern auch in den verschiedenen herzhaften Gerichten. Er glänzt als süß-saure Beilage zu Lammkoteletts oder überrascht als Gemüse kombiniert mit Spinat.
‚Hjónabandsæla‘ – isländischer Rhabarberkuchen
Hjónabandsæla bedeutet übersetzt ‚Eheglück‘. Wichtigstes und gehaltvolles Bestandteil dieses in Island heiß geliebten und traditionellen Kuchens ist Rhabarbermarmelade (rabarbarasulta).
Eine kleine Auswahl an Erklärungen für die ungewöhnliche Kuchenbezeichnung:
Manche Isländer sagen, dass der Hjónabandsæla-Kuchen um so besser schmeckt, je älter er wird. Mit einer langjährigen glücklichen Ehe soll es sich genauso verhalten.
Andere wiederum sind der Meinung, dass das Rezept so einfach und leicht ist, dass auch weniger Geübte damit glänzen können. Es droht also keine Gefahr, dass der Ehesegen wegen eines missratenen Kuchens schief hängen könnte.
Und die dritte Erklärung lautet: Der Kuchen ist sehr lange haltbar und dahinter verbirgt sich der Wunsch, dass auch die Ehe so lange halten möge.
Rhabarbermarmelade – Rabarbarasulta
Diese typisch isländische Marmelade aus dem sauren Gewächs ist etwas Besonderes. Sie wird auf alte traditionelle Weise gekocht wie einst von der Großmutter und ist alles andere als kalorienarm. Auch der Vitamin-C-Gehalt der Pflanze hat sich dann in Wohlgefallen aufgelöst – ABER – die Marmelade ist eine kleine Sünde wert, besonders natürlich im Hjónabandsæla-Kuchen.
Alles was man dafür benötigt ist 1 kg Rhabarber, 500 – 600 gr Zucker, ein bisschen Zeit und Geduld. Die Stangen werden in Stücke geschnitten, in einem Topf mit dem Zucker vermischt. Wichtig ist, dass kein Aluminiumtopf verwendet wird wegen der Oxalsäure. Zugedeckt ruht das Gemisch über Nacht.
Am nächsten Tag wird alles zusammen mit dem entstandenen Saft zum Kochen gebracht. Auf kleiner Flamme lässt man das Gemisch bei kleiner Flamme vor sich hin köcheln, bis es dunkelbraun wird und karamellig duftet. Das kann durchaus 2 Stunden dauern. Nur das Umrühren hin und wieder sollte man nicht vergessen, damit die dicker werdende Masse nicht am Topfboden anbrennt.
Wenn die Marmelade dick genug ist, in Gläser abfüllen, fertig!
Diese traditionelle Marmelade wird nicht nur als Kuchenbelag verwendet, sondern ganz klassisch auch auf die isländischen Pfannkuchen (Pönnukökur) und auf Waffeln gestrichen. Und so wie wir gerne Preiselbeeren zu Wild reichen, gibt es die Rabarbarasulta in Island zu Lamm und anderen Fleischgerichten.
Wenn es mal schnell gehen muss: Einen Löffel Marmelade auf eine Scheibe Brot streichen, obendrauf eine Scheibe Käse – fertig ist ein leckerer Snack, den die Isländer sehr lieben!
Grütze aus den sauren Stangen – Rabarbaragrautur
Auch dieses Dessert wird in Island gerne gegessen. Man kann es zubereiten wie eine klassische rote Grütze, nur wird statt der Beeren Rhabarber verwendet, häufig auch in Kombination mit Engelwurz oder Angelika. Diese Pflanze ist in Island ebenfalls recht beliebt und findet in verschiedenen Rezepten Verwendung. Serviert wird diese Grütze in Island mit Sahne oder Skyr, einem traditionellen isländischen Milchprodukt.
Vitaminhaltige Süßigkeit für Kinder
In früheren Zeiten, als die meisten Menschen von dem lebten, was Land und Meer hergaben, kannten Kinder keine Süßigkeiten wie Gummibärchen oder Schokolade. Ältere Isländer erinnern sich noch heute gerne daran, dass sie als Kinder die noch zarten jungen Stangen abschnitten (sie sind dann noch nicht so sauer), dann einfach in Zucker stippten und genüßlich verspeisten.
Ganz modern – Cidre aus Rhabarber
Diese Geschichte begann vor einigen Jahren. Schuld an dem erfrischenden neuen Produkt war eine Großmutter, die aus dem sauren Gewächs alljährlich Wein herstellte. Ihr Enkel fand das langweilig. Er wollte etwas Neues, Modernes ausprobieren aber es sollte aus einem typisch isländischen Naturprodukt hergestellt werden. Er war der Meinung, dass die beliebten Stangen zu mehr taugen könnten als nur zu Wein oder Marmelade. So kam er auf die Idee, Cidre zu produzieren. Cidre wurde bis zu diesem Zeitpunkt kaum getrunken in Island.
Er begann zu experimentieren und tat sich schlussendlich mit der Brauerei Ægir Brugghús zusammen. Aus dieser Kooperation entstand der erfrischende und trockene Rhabarber-Cidre Sultuslakur. Verwendet wird dafür ein Ale-Hefestamm aus Belgien, der den fruchtigen Geschmack des Getränks noch ein wenig abrundet. Bleibt zu hoffen, dass den Isländern der Cidre genauso gut mundet wie seinem Erfinder.
Küchen-Neuheit – Rhabarbersalz
Die Isländer waren schon immer ein recht pragmatisches und erfinderisches Völkchen. Außer dem bereits erwähnten Cidre gibt es mittlerweile sogar Rhabarbersalz. Im Breidafjördur, dem großen breiten Fjord, der die Halbinsel der Westfjorde vom restlichen Island trennt, ist das arktische Meerwasser sehr sauber. Der Fjord ist bekannt für seine großen Algenwälder und die große Biodiversität.
Für die Salzgewinnung nutzt man die reichlich vorhandene geothermische Energie in Verbindung mit einer alten Methode aus dem 18. Jh.
Das Meerwasser wird in große Pfannen gepumpt und dort mit Wasser aus den natürlich vorkommenden heißen Quellen in Island erhitzt, bis es verdunstet und nur noch die reinen Salzflocken übrig bleiben.
Diese werden dann mit Rhabarber mariniert und das Salz erhält so seine zartrose Farbe und einen leicht säuerlichen Geschmack. Diese isländische Salzspezialität passt ganz hervorragend zu Salaten und Meeresfrüchten.
Rhabarber außerhalb der Küche – Für Farbe und gegen Läuse
Das Gewächs ist in Island nicht nur in der Küche begehrt. Er ist so etwas wie ein Allroundgenie. Seine Blätter sind ungenießbar und giftig. Doch früher wurden sie zum Färben benutzt. Dazu schnitt man die Blätter grob und kochte sie eine Zeitlang in Wasser aus. Nach dem Abkühlen und Absieben der Blätter wurde der Stoff in den Sud eingelegt. Man erhielt einen Gelb-Grün-Ton. Die Farbintensität hängt vom Säuregehalt der Blätter ab.
Als es noch keine Chemiekeule gegen Gartenschädlinge gab, behalf man sich mit Blättern des Gewächses. Zusammen mit Wasser und Seife wurde ein Sud daraus gekocht und die befallenen Pflanzen damit behandelt. So mancher Biogärtner schwört auch heute noch darauf.
Fazit:
Rhabarber ist heute fast so etwas wie eine Nationalpflanze in Island. In der Küche spielt er eine wichtige Rolle, nicht nur in traditionellen Rezepten, sondern auch in modernen Varianten der Avantgarde-Küchenchefs. Es lohnt sich also durchaus, am heimischen Herd einmal ungewohnte kulinarische Kombinationen auszuprobieren und sich von der isländischen Küche ein wenig inspirieren zu lassen.