Der Kaieteur National Park in Guyana ist touristisch betrachtet noch die große Unbekannte. Oft wird das Land mit Guinea verwechselt, aber das liegt weit davon entfernt in Afrika. So mancher mag sich nun fragen: Wo liegt denn dieses Land überhaupt? Ein Blick auf den Globus bringt die Lösung. Es liegt im Norden des südamerikanischen Kontinents und hat neben Suriname noch zwei wesentlich bekanntere Nachbarn – Brasilien und Venezuela.

Guyana – Seine Geschichte

Vor etwa 300 Jahren bestand das Land noch aus den Gebieten Niederländisch-, Französisch- und Britisch-Guyana. Aus Niederländisch-Guyana entstand dann später der heutige Landesnachbar Suriname. Französisch-Guyana verblieb unter Frankreich und ist heute ein europäisches Überseedepartment Frankreichs. Es gehört damit zur EU mit der Währung Euro – ein sehr ungewohntes Gefühl in dieser Region.

Die Kolonie Britisch-Guyana wurde erst 1966 als Guyana unabhängig. Hauptstadt ist Georgetown. Es ist damit bis heute das einzige Land in ganz Südamerika, dessen Amtssprache Englisch ist. Auffallend ist auch, dass in keinem der drei ehemaligen Kolonien eine iberische Sprache Amtssprache ist, also Spanisch oder Portugiesisch wie in den übrigen Ländern Südamerikas.

Guyana – Das ‚Land der vielen Wasser‘

So nannten schon die Ureinwohner diese Region, denn unzählige Flüsse durchziehen das Land, insgesamt sollen es um die 1.500 sein. Allerdings sind das keine gemütlich fließenden Bäche, sondern oft gewaltig breite, reißende Flüsse, die deshalb nur bedingt schiffbar sind. Einer von ihnen fließt mitten durch den Kaieteur Nationalpark.

Auch Straßen gibt es relativ wenige und sie verlaufen hauptsächlich an der Küste. Ein englischer Seefahrer schrieb 1882 wenig charmant über die Region und ihre Bewohner: „Es scheint mir ein hoffnungsloses Land aus Schlamm und Fieber zu sein, nicht bewohnbar für den Menschen, außer für die Baum-Indios, eine niedere Rasse Fisch essender Wilder…“

Guyana – Menschen und Landschaft

Die meisten Menschen leben heute entlang der Küste, und nur hier wird Landwirtschaft betrieben. Ein Blick aus der Vogelperspektive zeigt schnurgerade Ackerparzellen, wie mit dem Lineal gezogen und dazwischen zahlreiche Kanäle. Sie stammen noch aus der Zeit der Niederländer. Die Kunst, Schwemm- oder Sumpfland trockenzulegen, beherrschten sie schon seit Jahrhunderten. Ihre Hauptstadt Amsterdam zeugt noch heute davon mit ihren zahlreichen Grachten.

Doch das Anlegen dieser Kanäle war schweißtreibende Knochenarbeit. Sklaven mussten in dem sumpfigen Gebiet dafür schwer in sengender tropischer Hitze und hoher Luftfeuchtigkeit arbeiten. Ihre Fortsetzung fand die Schufterei dann in den Zuckerrohrfeldern. Als die Sklaverei abgeschafft wurde, fehlten Arbeitskräfte.

Deshalb wurden unzählige Inder als Arbeiter nach Guyana geholt. Das Land ist bis heute geprägt von den beiden größten ethnischen Gruppen: Die Afro-Guyaner sind die Nachfahren der schwarzen Sklaven und die Indisch-Guyaner Abkömmlinge der aus Indien ins Land geholten Kontraktarbeiter.

Guyana – Der Kaieteur Nationalpark

Der größte Schatz Guyanas ist sicherlich seine reiche und unberührte Natur. Ja, das Land ist grün, richtig undurchdringlich grün. Bis auf den nur wenige Kilometer breiten fruchtbaren Schwemmlandstreifen entlang der Küste, bestehen ca. 80 % des Landes aus dichtem Regenwald, selbst die Berge sind üppig grün bewachsen. Deshalb wurde noch unter der britischen Kolonialherrschaft ein großes Areal unter Naturschutz gestellt – der Kaieteur Nationalpark.

Er ist der einzige des Landes. Außer einigen Ureinwohnern gibt es keine menschlichen Siedlungen dort. In dieser unberührten Natur konnte sich im Lauf der Zeit eine unglaubliche Artenvielfalt entwickeln, die ihresgleichen weltweit sucht.

Flora und Fauna im Kaieteur Nationalpark

Nur hier findet man etwa den endemischen Tiefland-Felsenhahn. Der Vogel besitzt ein prachtvolles quietschoranges Gefieder mit einem äußerst exotischen geformten Schopf in der gleichen Schockfarbe. Leider musste ich mit einem Foto auf einer Infotafel vorliebnehmen. In der Natur blieb mir aufgrund des einsetzenden Regens sein Anblick leider erspart, denn bei Regen verkriecht er sich.

Eine andere ungewöhnliche und ebenfalls im Kaieteur National Park endemisch vorkommende Pflanze findet man, wenn man unterwegs auch einmal auf den Boden schaut. Nur so fällt einem ein rotes Gewächs auf, das auf den ersten Blick wie eine Moosart aussieht.

Aber der Guide weiß Bescheid, es ist die ‚Drosera kaieteurensis‘ – eine fleischfressende Pflanze. Da der karge Boden nicht alle Nährstoffe beinhaltet, die die Pflanze zum Überleben benötigt, muss sie sich zusätzlich Insekten einverleiben.

Die Kaieteur Wasserfälle – Ihre Entdeckung

Das Herzstück des Kaieteur Nationalparks sind die gleichnamigen Wasserfälle. Sie werden vom Rio Potaro gebildet. Der Fluss entspringt im Bergland von Guyana und mündet in den Essequibo. Er ist mit 1.000km Länge der größte und mächtigste Fluss des Landes, an dessen Mündung auch die Hauptstadt Georgetown liegt.

Obwohl der Rio Potaro lediglich 225 km lang ist, muss er auf seinem Weg trotzdem beachtliche 1.800 m Höhenunterschied überwinden.

Die Kaieteur Wasserfälle wurden 1870 von dem britischen Geologen Charles B. Brown entdeckt. Er hatte den Auftrag, das Hinterland zu erforschen und zu vermessen. Dabei stieß er auf die Wasserfälle. So wie Brown sie bei seiner Ankunft gezeichnet hat, so sehen sie bis heute nahezu unverändert aus.

Dem Namen Kaiteur liegen zwei Legenden zugrunde. Die bekanntere erzählt von einem Häuptling Kai, der sich mit seinem Kanu die Fälle hinabstürzte als Opfer für die Götter. Sie sollten damit den Frieden seines Volkes sichern. Die zweite ist weniger heroisch und handelt von einem alteten verachteten Mann.

Seine Verwandten wollten ihn loswerden, setzten ihn in einem Boot der Strömung des P und ließen ihn damit über die Fälle stürzen. In ihrer Sprache soll Kaieteur soviel bedeuten wie „Alter-Mann-Fall“.

Die Kaieteur Wasserfälle – Fakten

Die Fälle stürzen auf einer Breite von ca. 120m in einer einzigen Stufe über eine 226m hohe Klippe in die Tiefe. Damit zählen sie zu den höchsten freifallenden Wasserfällen der Welt. Sie sind etwa
5 x so hoch wie die sehr viel berühmteren Niagarafälle in USA/Kanada
2 x so hoch wie die Victoriafälle in Simbabwe und
3 x so hoch wie die Iguacu-Fälle im benachbarten Brasilien

Die Kaieteur Wasserfälle bieten ein unglaublich beeindruckendes Naturschauspiel. Bei meinem Besuch war das Wetter zwar sehr durchwachsen und es regnete mehrfach. Trotzdem ist es ein atemberaubender Moment, wenn man an der Abbruchkante steht, der Fall ist in Nebel und Gischt gehüllt. Nur das Rauschen des tosenden Wassers dringt ans Ohr.

Plötzlich reisst der Nebel auf und gibt für kurze Zeit den Blick frei auf die gewaltigen kaffeebraunen Wassermassen, die sich donnernd über die Klippe in die unendlich scheinende Tiefe stürzen. Kaum zu fassen ist auch, dass es hier weder Geländer, noch Absperrungen oder Warnhinweise gibt. Ungehindert kann man bis an den Rand des Gesteinsabbruchs gehen.

Und im Vergleich zu anderen Weltsehenswürdigkeiten hat man dieses Schauspiel fast für sich allein. Pro Jahr gesehen, besuchen etwa so viele Touristen die Kaieteur Fälle wie in Machu Picchu an einem Tag.

Die Kaieteur Wasserfälle und ihr Geheimnis

Am Rand der Fälle fallen riesengroße Bromelien ins Auge. Auf den ersten Blick nichts Besonderes, wenn da nicht ihre winzigen Untermieter wären. Gerade daumennagelgroßes Tierchen hausen unten in den Blattansätzen, die angeblich nicht quaken, sondern singen. Sie sollen den Zustand der Erde anzeigen: Wenn sie irgendwann nicht mehr zu hören sind, naht das Ende unseres Planeten.

Dichtung oder Wahrheit? Fakt ist, in den Blatt-Trichtern der Riesenbromelie sammelt sich Regenwasser. Das ist der Lebensraum des Goldfrosches. Sein zoologischer Name lautet ‚colosthetus beebei‘, erst 1923 wurde er entdeckt. Man muss sich vorsichtig herantasten, darf die Blätter nicht bewegen, sonst verschwindet das goldfarbene Tierchen blitzschnell. Und dann sehe ich ihn, knapp über der Wasseroberfläche des Trichters schaut mich der goldfarbene Winzling mit seinen schwarzen Äuglein neugierig an. Ganz ruhig bleibt er sitzen und gibt mir die Gelegenheit für einmalige Fotos. Ich bin tief beeindruckt und dankbar, so etwas sehen und erleben zu dürfen.

Der Kaieteur Nationalpark und seine Wasserfälle – wie kommt man hin?

Wer viel Zeit hat und abenteuerlustig ist, kann das mit Boot und zu Fuß in Angriff nehmen. Die komfortablere Variante ist garantiert ein Flug. Mit kleinen Propellermaschinen dauert es ca. 45 Min. von der Hauptstadt Georgetown bis zum Kaieteur Nationalpark. Ich hatte großes Glück und bekam den freien Platz des Co-Piloten. Der Flug und die Aussichten von oben sind spektakulär. Von oben sieht es aus, als ob man über einen riesigen grünen Brokkoli fliegen würde. Dazwischen schlängelt sich immer wieder ein Fluss durch den unberührten Regenwald. Man fühlt sich wie am Anfang der Schöpfung.

Fazit

Guyana – ein noch unentdecktes Urlaubsland! Eine Reise dorthin, in den Kaieteur Nationalpark und zu den Fällen ist sicher ein etwas außergewöhnliches Reiseziel. Doch wer sich einmal wie ein kleiner Entdecker fühlen möchte und auf große Touristenmassen gut verzichten kann, dem sei dieses Land und seine Schönheiten ganz besonders ans Herz gelegt.

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